Bleiente
Alien
Der Revolutionär und der junge Präsident: 1961 fechten sie ihren Kampf um Kuba. Heute ist Fidel Castro dienstältester Staatschef und John F. Kennedy gilt vielen als Verräter.
Es gibt Tage, die laufen einfach nicht gut. Der 12. April 1961 ist so ein Tag für den amerikanischen Präsidenten. Erst die Meldung über Juri Gagarin: Die Sowjets haben den ersten Menschen ins Weltall geschossen. Damit ist dieses Rennen also verloren. Und nun will ein Journalist wissen, ob er schon entschieden habe: Werden die USA eine Invasion gegen Kuba unterstützen? John F. Kennedy ist erst seit 75 Tagen im Amt, dies ist seine neunte Pressekonferenz, jetzt setzt er an zu einer Routineantwort: „Diese Regierung wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um sicherzustellen, dass keine Amerikaner in Aktionen gegen Kuba verwickelt werden.“
Kennedy hat die Invasionsfrage an diesem Tag schon einmal gestellt bekommen. Am Morgen, vor etwa sechs Stunden, hat er den CIA-Mann Richard Bissel im Weißen Haus getroffen. Bissel ist verantwortlich für geheime Missionen und informiert Kennedy über den letzten Stand von Operation Zapata – der Codename für die Invasion Kubas. Monatelang hat die CIA Hunderte von Exil-Kubanern für dieses Ziel trainiert. Nun beschwört Bissel den Präsidenten, er solle endlich sein Okay geben. Operation Zapata könne nur noch bis spätestens 14. April, 12 Uhr abgeblasen werden. Kennedy nickt.
Zwei Tage später stehen 1447 braungebrannte Männer in Khaki-Uniformen in einem kleinen Hafen an der Karibikküste Nikaraguas. Einige haben sich Cowboyhüte aufgesetzt, andere rauchen Zigarren. Der nikaraguanische Diktator Luis Somoza, ein treuer Verbündeter der USA, ist eigens angereist, um die Männer zu verabschieden. „Bringt mir ein Haar von Fidel Castros Bart!“, ruft Somoza den Männern zu. Bei Einbruch der Nacht verteilen sie sich auf acht Frachtschiffe und sechs Begleitboote und verlassen Nikaragua in Richtung Kuba. Sie nennen sich Brigade 2506. Ebenfalls an Bord sind die CIA-Agenten Grayston Lynch und William „Rip“ Robertson.
Auf Kuba ist Castro alarmiert. Seit Monaten erschüttern Sabotageakte die Insel. Bei Brandanschlägen sind 300 000 Tonnen Zuckerrohr, 42 Tabaklager und zwei Papierfabriken zerstört worden. Bahnhöfe und Kraftwerke wurden angegriffen. Und im März 1960 explodierte im Hafen von Havanna ein mit belgischen Waffen beladenes Schiff. Rund 100 Menschen wurden getötet. Auf der Trauerfeier macht der Revolutionsführer die USA verantwortlich.
Castro weiß, dass die CIA versucht, seine Revolution zu destabilisieren. Und auch, dass der Geheimdienst vorhat, ihn umzubringen. Mehrere Mordversuche sind bereits gescheitert. So sollte Castros deutsche Ex-Geliebte Marita Lorenz ihm Giftpillen in den Drink mischen. Sie wurde von sentimentalen Gefühlen und dem Charme Castros übermannt. Am 8. April 1961 macht sich Castro in einer Rede über den US-Geheimdienst lustig: „Wir glauben, dass die Central Intelligence Agency nicht über die geringste Intelligenz verfügt.“
Sein Geheimdienst G2 dagegen hat die exilkubanische Gemeinde in Miami erfolgreich unterwandert. Unter den „Gusanos“, den Würmern, wie Castro die Exilanten nennt, befinden sich etliche seiner Agenten. Sie haben ihn längst über die CIA-Trainingscamps informiert. Allerdings hätte auch ein Blick in die Zeitungen genügt, um über die Invasionspläne der CIA auf dem Laufenden zu bleiben. Am 7. April meldete die „New York Times“ auf der ersten Seite, dass mehrere tausend Exil-Kubaner für Landungsoperationen auf Kuba ausgebildet würden.
Kennedy reagiert wütend: „Castro muss nur unsere Zeitungen lesen.“ Der mit 43 Jahren jüngste US-Präsident hat die Invasionspläne von seinem Vorgänger Dwight D. Eisenhower geerbt. Jetzt bereiten ihm die politischen Konsequenzen Sorgen. Kennedy rechnet damit, dass die Sowjets nur auf einen Vorwand warten, um in West-Berlin einzumarschieren. Er insistiert, dass der lange Arm der USA bei Operation Zapata nicht zu sehen sein dürfe. Die Weltöffentlichkeit soll glauben, Kubaner kämpften gegen Kubaner. Dennoch steht für Kennedy fest: „Kommunisten werden in der Hemisphäre nicht toleriert.“ Er fürchtet, dass die kubanische Revolution in Lateinamerika Schule machen könnte
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09.04.2006
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/09.04.2006/2455683.asp
Es gibt Tage, die laufen einfach nicht gut. Der 12. April 1961 ist so ein Tag für den amerikanischen Präsidenten. Erst die Meldung über Juri Gagarin: Die Sowjets haben den ersten Menschen ins Weltall geschossen. Damit ist dieses Rennen also verloren. Und nun will ein Journalist wissen, ob er schon entschieden habe: Werden die USA eine Invasion gegen Kuba unterstützen? John F. Kennedy ist erst seit 75 Tagen im Amt, dies ist seine neunte Pressekonferenz, jetzt setzt er an zu einer Routineantwort: „Diese Regierung wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um sicherzustellen, dass keine Amerikaner in Aktionen gegen Kuba verwickelt werden.“
Kennedy hat die Invasionsfrage an diesem Tag schon einmal gestellt bekommen. Am Morgen, vor etwa sechs Stunden, hat er den CIA-Mann Richard Bissel im Weißen Haus getroffen. Bissel ist verantwortlich für geheime Missionen und informiert Kennedy über den letzten Stand von Operation Zapata – der Codename für die Invasion Kubas. Monatelang hat die CIA Hunderte von Exil-Kubanern für dieses Ziel trainiert. Nun beschwört Bissel den Präsidenten, er solle endlich sein Okay geben. Operation Zapata könne nur noch bis spätestens 14. April, 12 Uhr abgeblasen werden. Kennedy nickt.
Zwei Tage später stehen 1447 braungebrannte Männer in Khaki-Uniformen in einem kleinen Hafen an der Karibikküste Nikaraguas. Einige haben sich Cowboyhüte aufgesetzt, andere rauchen Zigarren. Der nikaraguanische Diktator Luis Somoza, ein treuer Verbündeter der USA, ist eigens angereist, um die Männer zu verabschieden. „Bringt mir ein Haar von Fidel Castros Bart!“, ruft Somoza den Männern zu. Bei Einbruch der Nacht verteilen sie sich auf acht Frachtschiffe und sechs Begleitboote und verlassen Nikaragua in Richtung Kuba. Sie nennen sich Brigade 2506. Ebenfalls an Bord sind die CIA-Agenten Grayston Lynch und William „Rip“ Robertson.
Auf Kuba ist Castro alarmiert. Seit Monaten erschüttern Sabotageakte die Insel. Bei Brandanschlägen sind 300 000 Tonnen Zuckerrohr, 42 Tabaklager und zwei Papierfabriken zerstört worden. Bahnhöfe und Kraftwerke wurden angegriffen. Und im März 1960 explodierte im Hafen von Havanna ein mit belgischen Waffen beladenes Schiff. Rund 100 Menschen wurden getötet. Auf der Trauerfeier macht der Revolutionsführer die USA verantwortlich.
Castro weiß, dass die CIA versucht, seine Revolution zu destabilisieren. Und auch, dass der Geheimdienst vorhat, ihn umzubringen. Mehrere Mordversuche sind bereits gescheitert. So sollte Castros deutsche Ex-Geliebte Marita Lorenz ihm Giftpillen in den Drink mischen. Sie wurde von sentimentalen Gefühlen und dem Charme Castros übermannt. Am 8. April 1961 macht sich Castro in einer Rede über den US-Geheimdienst lustig: „Wir glauben, dass die Central Intelligence Agency nicht über die geringste Intelligenz verfügt.“
Sein Geheimdienst G2 dagegen hat die exilkubanische Gemeinde in Miami erfolgreich unterwandert. Unter den „Gusanos“, den Würmern, wie Castro die Exilanten nennt, befinden sich etliche seiner Agenten. Sie haben ihn längst über die CIA-Trainingscamps informiert. Allerdings hätte auch ein Blick in die Zeitungen genügt, um über die Invasionspläne der CIA auf dem Laufenden zu bleiben. Am 7. April meldete die „New York Times“ auf der ersten Seite, dass mehrere tausend Exil-Kubaner für Landungsoperationen auf Kuba ausgebildet würden.
Kennedy reagiert wütend: „Castro muss nur unsere Zeitungen lesen.“ Der mit 43 Jahren jüngste US-Präsident hat die Invasionspläne von seinem Vorgänger Dwight D. Eisenhower geerbt. Jetzt bereiten ihm die politischen Konsequenzen Sorgen. Kennedy rechnet damit, dass die Sowjets nur auf einen Vorwand warten, um in West-Berlin einzumarschieren. Er insistiert, dass der lange Arm der USA bei Operation Zapata nicht zu sehen sein dürfe. Die Weltöffentlichkeit soll glauben, Kubaner kämpften gegen Kubaner. Dennoch steht für Kennedy fest: „Kommunisten werden in der Hemisphäre nicht toleriert.“ Er fürchtet, dass die kubanische Revolution in Lateinamerika Schule machen könnte
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09.04.2006
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/09.04.2006/2455683.asp