Target Fixation
Nach den lustigen Ereignissen zurück zu den eher banalen Vorgängen, und was dabei rauskommt wenn man was falsch macht.
Ich hatte ja schon über die Funktionalität und Notwendigkeit des Bombenvisiers der RF-4E berichtet. Die RF-4E hatte ein reines Bombenvisier, die F-4F eine Visiereinrichtung die im Luftkampfmodus auch einen Vorhaltewinkel berechnete und zur Anzeige brachte. Im Bombenmodus ist die Funktion so gut wie identisch. Wozu brauch man so ein Visier und wie funktioniert ein Bombenabwurf?
Es gibt Smart bombs (gelenkte Bomben) und dumb bombs (ballistische Bomben). Zu meiner Zeit standen uns nur letztere zur Verfügung. Einmal vom Flugzeug losgelöst fliegt die Bombe in der Flugrichtung weiter, ist dabei den Kräften der Natur (Luftwiederstand und Gravitation) ausgesetzt und folgt der daraus entstehenden ballistischen Kurve bis zum Aufschlag am Boden. Damit es nicht ganz so einfach wird, gab es noch zwei Sorten dieser dumb bombs, welche mit hohem Luftwiderstand (retarded) und welche mit niedrigem Luftwiderstand (slick). Bei Übungsflügen hatte man immer beide in Form von Übungsbomben geladen, sonst wird es ja langweilig.
Aufgrund der balistischen Eigenschaften wurden die Bomben unterschiedlich eingesetzt, die retarded im Tiefflug geradeaus (Skip) oder mit 10° Sinkflug , die slick mit 10° bis 30° Sinkflug. Das ganze erfolgt aus einem sogenannten Range-Pattern (kann man sich wie eine Platzrunde vorstellen), wobei die Flughöhe über Grund abhängig vom geplanten Bombenwurf ist. Beim Einkurven auf den Endanflug verläßt man diese Platzrundenhöhe, nimmt die erforderliche Endanfluggeschwindigkeit (in der Regel waren das 450 KIAS) und gleichzeitig den erforderlichen Gleitwinkel (Level, 10°, 20° oder 30°) ein, und fliegt jetzt so, daß der Flugweg dabei über das Ziel führt. Neuere Flieger haben jetzt selbst für dumb bombs einen Rechner drin, der die Bombe dann vom Träger abfallen läßt, wenn alle Parameter zusammen einen Treffer ergeben. Zu unserer Zeit war das nicht eingebaut, man mußte folglich einen weiteren Parameter treffen, nämlich die korrekte Höhe über Grund beim Auslösen der Bombe. Da es nie windstill war, mußte auch der Einfluß des Windes kompensiert werden.
Zusammenfassend für 10° Dive-Bombing:
- Genaue Geschwindigkeit 450 KIAS
- Genau 10° Sinkwinkel
- Flugweg stabil über das Ziel führend (Visiereinrichtung)
- Korrektur für Wind
- Auslösen auf exakter Flughöhe über Grund
Was passiert wenn (bei der Annahme Visierpunkt korrekt auf dem Ziel)
- Höhere Fluggeschwindigkeit = Bombe fällt lang
- Niedrigere Fluggeschwindigkeit = Bombe fällt kurz
- Sinkflugwinkel zu niedrig = Bombe fällt kurz
- Sinkflugwinkel zu hoch = Bombe fällt lang
- Auslösungshöhe zu hoch = Bombe fällt kurz
- Auslösungshöhe zu niedrig= Bombe fällt lang
Kombinationen von Fehlern können sich kompensieren oder addieren.
Nun zur Visiereinrichtung: Mit Hilfe einer Optik wird ein rotes Zielkreuz (RF-4E) oder roter Zielkreis (F-4F) auf eine Glasscheibe gespiegelt, durch die das Ziel anvisiert wird. Diese Zielmarkierung kann durch ein Drehrädchen in der Höhe verstellt werden, um die richtige Visierlinie für den geplanten Bombeneinsatz (Retarded oder Slick, Level oder Sinkflug 10°, 20°, 30°) vor zu wählen. Dafür gibt es einen dicken Wälzer mit Tabellen, in dem man die richtige Tabelle raussucht und sich den Wert notiert. Plant man auf verschiedene Abwurfverfahren, so muss man sich tunlichst alle Werte aufschreiben. Im Flugzeug wird nun der Wert durch einen Drehknopf in das Visier eingegeben. Spätestens beim Anflug auf den Schießplatz bekommt man den Wert des Bodenwindes mitgeteilt. Mit Kopfrechen kann man jetzt den Wind in seine Komponenten zerlegen, die Querwindkomponente muß man durch bewußtes Zielen (Vorhalt) ausgleichen, die Windkomponente von Vorne oder Hinten kann man durch Drehen am Knöpfchen in die Visiereinrichtung eingeben. Da der Wind aber selten stabil ist, habe ich meistens darauf verzichtet und diese Komponente ebenfalls durch Vorhalt ausgeglichen.
Man kann die Visiereinrichtung noch für einen weiteren Zweck verwenden. Letztlich fliegt die Bombe nach dem Auslösen eine bestimmte Strecke durch die Luft, bevor Sie am Boden angekommen ist. Diese "Slant-Range" genante Strecke kann man für jede bestimmte Auslösehöhe und Geschwindigkeit ebenfalls in Tabellen nachlesen. Bringt man die bekannte Größe des Zielkreuzes ins Verhältnis zur ebenfalls bekannten Größe des Zielkreises am Boden, dann hat man einen Anhaltspunkt für die korrekte Entfernung zum Ziel. Noch einfacher ist es, wenn man wie in Deci die Klippen als Referenzpunkt nehmen kann.
Sitzt man jetzt schief im Flieger, sitzt man höher oder tiefer, ist das Flugzeug in Schräglage, ändert man die Leistungshebel (was bei der Phantom zu einer Pitchänderung führt) kommen weitere Zielabweichungen und damit Fehlerquellen hinzu.
Wenn man das alles liest, muß man sich nicht wundern, wenn man folgende Sprüche vom Kontrollturm des Schießplatzes hören kann:
Your Bomb was unbelievably long (Deine Bombe fiel unheimlich lang)
We observed your bomb falling over the clip into the water (wir beobachteten dass die Bombe über die Klippe ins Wasser fiel)
You hit Frasca Range (Du hast den Schießplatz getroffen)
You do not attack the range Tower again (greife nicht mehr den Kontrollturm an)
you have a hit on the wrong target (du hast das falsche Ziel getroffen)
Your bomb was a waste of money (deine Bombe war Geldverschwendung)
Weniger harmlos war wenn folgender Spruch kam:
Safe your switches and leave my range immidiately ( Sichern Sie die Waffen und verlassen Sie sofort meinen Schießplatz)
und dazu wieder ein selbst erlebtes Waterloo, das ich und mein WSO glücklicherweise überlebt haben.
Es war auf einem Ausbildungsflug in George AFB 1977, wir waren Crewsolo mit einer 4-Ship auf Cuddeback-Range
http://joeidoni.smugmug.com/Aircraft-Crash-Sites/Cuddeback-Lake-Air-Force-Range/4434834_ttUTP
Alles lief gut bis zum 10° Low Angle Glide bombing. Das Pattern war vermurkst, weil der Mann vor mir den Punkt zum Einkurven verpaßt hatte und ich ihn aus den Augen verloren hatte. Dadurch wurde mein Pattern weiter, und um dies zu kompensieren leitete ich den Sinkflug etwas später ein. Vom Gefühl her war alles zunächst normal, ich konnte mich gut auf das Ziel ausrichten, das Ziel marschierte zügig in meinen Zielkreis nur dass der Lastwagen der im Zielpunkt stand einfach zu schnell zu groß wurde. Ich zog instinktiv wie ein Mörder am Stick und gab gleichzeitig volle Leistung (MIL), um diesen LKW aus meinem Frontfenster zu bekommen, was vom Rücksitz mit unartikuliertem Stöhnen quittiert wurde. Darauf hin ich durch die Frontscheibe nur Himmel, aber links und rechts in den Augenwinkeln genügend Landschaft sah, um die Situation richtig einschätzen zu können, es war verdammt eng. Dann ging es gefühlsmäßig endlich nach oben und jetzt spürte ich auch die Menge an G´s, die ich kreiert hatte. Vom Kontrollturm kam zunächst die Frage: Number 4, are you safe? (Nummer 4, alles ok bei Euch?) und auf meine bejahende Antwort dann der oben zitierte Satz mit der roten Karte und damit Verweis vom Schießplatz.
Was war passiert? Aufgrund geringer Routine und dem Abweichen von zuvor eingeübtem Einrollpunkt hatten wir ca. 20° Sinkwinkel eingenommen, und da ich die Triebwerkshebel nach Gefühl auf die 86% für 10° Sinkwinkel zurückgenommen hatte, bauten wir immens an Fahrt auf. Zum Zeitpunkt der Bombenauslösung waren wir auf der richtigen Höhe für 10° und 450 KIAS, hatten aber mehr als 20° Sinkflug und ca. 510 KIAS drauf. Man nennt das auch Target Fixation, denn optisch sah zunächst alles normal für mich aus.
Vom Kontrollturm (dort saßen immer Fluglehrer aus George) sahen sie uns dann hinter dem Ziel in einer riesiegen Staubwolke verschwinden und glaubten auch nicht mehr uns nochmals im Ganzen zu sehen. Mein WSO hatte sich auf den Höhenmesser konzentriert und auch die Höhen ausgerufen, die Abweichung von Geschwindigkeit und Gleitwinkel aber nicht bemerkt. Er wurde von meinem Manöver sehr übberrascht, Die 7,8 G´s brachten ihm eine Woche Rückenschmerzen ein und mir einen Riesen Rüffel vom Wingkommander (ich hatte eine amerikanische F-4E verbogen) bis hin zum deutschen Kommando. Als Belohnung durfte ich den Flug wiederholen.
Mein Sack mit Erfahrung war etwas voller, der mit Glück etwas leerer!
franzl