Bleiente
Alien
Nach dem Abschuss eines britischen Bombers über dem Untersee 1944: Sogar General Guisan schaltet sich ein
Nur Stunden bleiben die fünf Überlebenden in Steckborn, dann werden sie interniert. Der deutsche «Nachtjäger», den die Schweiz zur Landung gezwungen hat, löst einen Streit aus, den Deutschland beinahe mit Bomben löst. Ein Steckborner erzählt.
Nachdem der deutsche «Nachtjäger» in der Nacht auf den 28. April 1944 über dem Untersee einen britischen Bomber angreift, wird er von der Schweizer Luftabwehr mit stark blendenden Scheinwerfern gezwungen, in Dübendorf zu landen. Dort entnehmen die Bewacher dem Cockpit Geheimbefehle, ungeachtet der Proteste des 23-jährigen Piloten Wilhelm Johnen. Gemäss dem Steckborner Thomas Egli wird das Heckruder der Messerschmitt mit einem Schweizer Kreuz versehen.
Die Landung des «Jägers» vom Typ Messerschmitt auf Schweizer Boden ist brisant. Von der Nazi-Kriegsmaschinerie sind diese Flugzeuge mit einem geheimen «Lichtenstein-Radar» ausgestattet worden. Dieser ermöglicht es, feindliche Maschinen in der Dunkelheit aufzuspüren. Die Messerschmitt ist nicht nur mit vier Geschützen, die nach vorne schiessen, ausgerüstet, sondern auch mit Zwillings-Bordkanonen. Diese schiessen schräg nach oben und erlauben vom Feind ungesichtete Angriffe von unten. Die Technik ist seit Kriegsbeginn absolut geheim; selbst nach einem Abschuss können sich überlebende Alliierte nicht erklären, wie ihr Bomber getroffen worden ist.
Das deutsche Regime setzt deshalb alles daran, dass die «Nachtjäger» vor fremden Augen geschützt bleiben. Sofort nach der erzwungenen Landung in Dübendorf reist SS-Major Eggen in die Schweiz, die erste Nacht verbringt er auf dem Wolfsberg bei Ermatingen. Von dort geht es weiter nach Bern, wo Eggen den Schweizer Brigadier Masson eindringlich bittet, den «Nachtjäger» vertraulich zu behandeln. Als Gegengeschäft bietet Deutschland der Schweiz den Verkauf von zehn Messerschmitt-Maschinen an. General Guisan – er hat sich mittlerweile selbst eingeschaltet – zögert. Worauf Deutschland auf die Sprengung des «Jägers» in Dübendorf drängt – und plötzlich zwölf Messerschmitts zum Verkauf anbietet. Wieder lassen sich die Schweizer Zeit und verärgern damit den grossen Nachbarn.
Später wird bekannt werden, dass Deutschland gar in Erwägung zieht, den Flugplatz Dübendorf aus der Luft anzugreifen, um das Flugzeug zu zerstören. Am 18. Mai wird endlich gesprengt. Gegen eine Bezahlung von sechs Millionen Franken in Goldbarren erhält die Schweizer Flugwaffe zwölf «Schnäppchen-Flugzeuge», die sich bald als Fehlproduktionen erweisen und nur vier Jahre später verschrottet werden.
Die «Affäre Nachtjäger» findet unter riesigem Zeitdruck statt. Die Schweizer Militärbehörde überschreitet mehrfach ihre Kompetenz: Mit den illegalen Grenzübertritten deutscher Offiziere (sie kommen im Schnellverfahren über den Zoll bei Kreuzlingen)einerseits, mit der vorzeitigen Freilassung einiger Internierter andererseits. Damit verstösst die Schweiz laut Thomas Egli gegen das Haager Abkommen.
Die Besatzung der deutschen Messerschmitt, Wilhelm Johnen und seine beiden Kollegen, wird drei Wochen nach der Bomben-Nacht über dem Untersee beim Kreuzlinger Zoll nach Deutschland abgeschoben. Wenige Tage später sind sie wieder im Kriegseinsatz. Viel länger müssen die Alliierten in der Schweiz bleiben, mit Ausnahme des Piloten Robert Peter. Der australische Bordfunker Bartley Murray schreibt später in einem Brief an den Genfer Journalisten Jean-Pierre Wilhelm, es habe für ihn zu Beginn nicht einmal die Möglichkeit gegeben, seine Familie in der Heimat über seine Rettung zu informieren.
Gemeinsam mit seinen Mitstreitern, mit denen er in Steckborn notgewassert ist, wird Murray zuerst in Adelboden, später in Arosa interniert. Internierte aus verschiedenen Krieg führenden Nationen werden von den Schweizer Behörden örtlich getrennt, um Übergriffe zu verhindern. Ganz gelingt dies nicht, wie diese Schilderungen Bartley Murrays zeigen: «Gruppen von amerikanischen Internierten hänselten uns immer wieder mit «limey», einem Übername für englische Seeleute. Wir hatten das satt und verprügelten einige von ihnen. Dann hörte diese Hänselei auf.»
Murray ist in der Schweiz mit vielen für ihn unverständlichen Vorschriften konfrontiert. «Zivilisten bezahlten 50 Franken Busse, wenn sie mit uns sprechen», schreibt er später. Es sei weder erlaubt gewesen, in einer Gaststätte zu trinken, noch «in ein Vergnügungslokal oder in ein Theater zu gehen» – geschweige denn, «mit Frauen Kontakt aufzunehmen».
Ende September scheitert ein Fluchtversuch Murrays, er wird ins «Wauwilermoor» abgeschoben, das «aufgebaut ist wie ein deutsches Konzentrationslager mit Baracken in Reihen», wie er schreibt. Nach Weihnachten 1944 kommt die Erlösung: Ein Schleuser bringt den Australier und einen seiner Landsmänner über Genf nach Marseille, die Zeit der Internierung ist vorbei.
http://www.tagblatt.ch/index.jsp?artikel_id=1119961&ressort=regionen/thurgau/untersee
Nur Stunden bleiben die fünf Überlebenden in Steckborn, dann werden sie interniert. Der deutsche «Nachtjäger», den die Schweiz zur Landung gezwungen hat, löst einen Streit aus, den Deutschland beinahe mit Bomben löst. Ein Steckborner erzählt.
Nachdem der deutsche «Nachtjäger» in der Nacht auf den 28. April 1944 über dem Untersee einen britischen Bomber angreift, wird er von der Schweizer Luftabwehr mit stark blendenden Scheinwerfern gezwungen, in Dübendorf zu landen. Dort entnehmen die Bewacher dem Cockpit Geheimbefehle, ungeachtet der Proteste des 23-jährigen Piloten Wilhelm Johnen. Gemäss dem Steckborner Thomas Egli wird das Heckruder der Messerschmitt mit einem Schweizer Kreuz versehen.
Die Landung des «Jägers» vom Typ Messerschmitt auf Schweizer Boden ist brisant. Von der Nazi-Kriegsmaschinerie sind diese Flugzeuge mit einem geheimen «Lichtenstein-Radar» ausgestattet worden. Dieser ermöglicht es, feindliche Maschinen in der Dunkelheit aufzuspüren. Die Messerschmitt ist nicht nur mit vier Geschützen, die nach vorne schiessen, ausgerüstet, sondern auch mit Zwillings-Bordkanonen. Diese schiessen schräg nach oben und erlauben vom Feind ungesichtete Angriffe von unten. Die Technik ist seit Kriegsbeginn absolut geheim; selbst nach einem Abschuss können sich überlebende Alliierte nicht erklären, wie ihr Bomber getroffen worden ist.
Das deutsche Regime setzt deshalb alles daran, dass die «Nachtjäger» vor fremden Augen geschützt bleiben. Sofort nach der erzwungenen Landung in Dübendorf reist SS-Major Eggen in die Schweiz, die erste Nacht verbringt er auf dem Wolfsberg bei Ermatingen. Von dort geht es weiter nach Bern, wo Eggen den Schweizer Brigadier Masson eindringlich bittet, den «Nachtjäger» vertraulich zu behandeln. Als Gegengeschäft bietet Deutschland der Schweiz den Verkauf von zehn Messerschmitt-Maschinen an. General Guisan – er hat sich mittlerweile selbst eingeschaltet – zögert. Worauf Deutschland auf die Sprengung des «Jägers» in Dübendorf drängt – und plötzlich zwölf Messerschmitts zum Verkauf anbietet. Wieder lassen sich die Schweizer Zeit und verärgern damit den grossen Nachbarn.
Später wird bekannt werden, dass Deutschland gar in Erwägung zieht, den Flugplatz Dübendorf aus der Luft anzugreifen, um das Flugzeug zu zerstören. Am 18. Mai wird endlich gesprengt. Gegen eine Bezahlung von sechs Millionen Franken in Goldbarren erhält die Schweizer Flugwaffe zwölf «Schnäppchen-Flugzeuge», die sich bald als Fehlproduktionen erweisen und nur vier Jahre später verschrottet werden.
Die «Affäre Nachtjäger» findet unter riesigem Zeitdruck statt. Die Schweizer Militärbehörde überschreitet mehrfach ihre Kompetenz: Mit den illegalen Grenzübertritten deutscher Offiziere (sie kommen im Schnellverfahren über den Zoll bei Kreuzlingen)einerseits, mit der vorzeitigen Freilassung einiger Internierter andererseits. Damit verstösst die Schweiz laut Thomas Egli gegen das Haager Abkommen.
Die Besatzung der deutschen Messerschmitt, Wilhelm Johnen und seine beiden Kollegen, wird drei Wochen nach der Bomben-Nacht über dem Untersee beim Kreuzlinger Zoll nach Deutschland abgeschoben. Wenige Tage später sind sie wieder im Kriegseinsatz. Viel länger müssen die Alliierten in der Schweiz bleiben, mit Ausnahme des Piloten Robert Peter. Der australische Bordfunker Bartley Murray schreibt später in einem Brief an den Genfer Journalisten Jean-Pierre Wilhelm, es habe für ihn zu Beginn nicht einmal die Möglichkeit gegeben, seine Familie in der Heimat über seine Rettung zu informieren.
Gemeinsam mit seinen Mitstreitern, mit denen er in Steckborn notgewassert ist, wird Murray zuerst in Adelboden, später in Arosa interniert. Internierte aus verschiedenen Krieg führenden Nationen werden von den Schweizer Behörden örtlich getrennt, um Übergriffe zu verhindern. Ganz gelingt dies nicht, wie diese Schilderungen Bartley Murrays zeigen: «Gruppen von amerikanischen Internierten hänselten uns immer wieder mit «limey», einem Übername für englische Seeleute. Wir hatten das satt und verprügelten einige von ihnen. Dann hörte diese Hänselei auf.»
Murray ist in der Schweiz mit vielen für ihn unverständlichen Vorschriften konfrontiert. «Zivilisten bezahlten 50 Franken Busse, wenn sie mit uns sprechen», schreibt er später. Es sei weder erlaubt gewesen, in einer Gaststätte zu trinken, noch «in ein Vergnügungslokal oder in ein Theater zu gehen» – geschweige denn, «mit Frauen Kontakt aufzunehmen».
Ende September scheitert ein Fluchtversuch Murrays, er wird ins «Wauwilermoor» abgeschoben, das «aufgebaut ist wie ein deutsches Konzentrationslager mit Baracken in Reihen», wie er schreibt. Nach Weihnachten 1944 kommt die Erlösung: Ein Schleuser bringt den Australier und einen seiner Landsmänner über Genf nach Marseille, die Zeit der Internierung ist vorbei.
http://www.tagblatt.ch/index.jsp?artikel_id=1119961&ressort=regionen/thurgau/untersee