HolgerXX
Fluglehrer
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Im Zusammenhang mit den Horten-Nurflügelflugzeugen gingen mir folgende Fragen nicht aus dem Sinn:
1. Was hat es mit der Glockenauftriebsverteilung, auch "Mitteneffekt" genannt, die für die ungewöhnliche Stabilität der Horten-Maschinen sorgte, eigentlich auf sich?
2. Warum hat das nach dem Krieg niemand aufgenommen?
3. Insbesondere nicht die amerikanische Firma Northrop, deren Entwürfe anscheinend nicht die Qualität der der Hortens erreichten?
Zu den Horten-Flugzeugen gibt es Einiges an Literatur, aber nichts, was die o.a. Fragen wirklich beantworten könnte. Doch schließlich stieß ich auf Russel E. Lee, Only the Wing, Reimar Horten's Epic Quest to Stabilize and Control the All-Wing Aircraft, Smithsonian Institution Scholarly Press, Washington, D.C. 2011. Die Durchsicht ergab Folgendes:
Zu 1:
So gut wie von Reimar Horten behauptet waren die Stabilitätswerte seiner in Deutschland gebauten Flugzeuge nicht. Das konnte experimentell nachgewiesen werden (S. 183). Sie wurden erst von der in Argentinien konzipierten Ho X Piernifero 3 erreicht (S. 185). Diese Maschine wurde aber nie gebaut! Es braucht eine spezielle, perfekte Platzierung der Elevons [nicht explizit erwähnt, aber für mich intuitiv einsichtig ist der dihedrale Flügelwinkel laut Zeichnung]. Darauf basierende Modellflugzeuge wurden hergestellt.
Zu 2:
Mit dem Zweiten Weltkrieg beginnt der Siegeszug der Düsenflugzeuge. Deren Einlassöffnungen stören aber die Stabilitätswerte von Nurflügelflugzeugen empfindlich (S. 132). Für moderne Verkehrsflugzeuge ist das unakzeptabel. Hortens Go 229 neigte zur Taumelschwingung ("Dutch roll", S. 117). Lee stellt ihre Eignung als Abfangjäger in Frage, da ein Feuerstoß aus Dreizentimeterkanonen die Maschine erst recht aus der Bahn geworfen hätte (S. 132, fraglich, ob diese Einschätzung gerechtfertigt ist, der Me 262 wurde dasselbe zugeschrieben, was ihren praktischen Nutzen aber kaum beeinträchtigte).
Northrops düsengetriebene YB-49 brauchte vertikale Stabilisierungsflächen, bei der kolbenmotorgetriebenen XB-35 war das nicht der Fall gewesen (ds. und S. 15, als Bombardierplattform taugte die YB-49 nicht).
Zu 3:
Reimar Horten geriet am 01.04.1945 in Kriegsgefangenschaft, kam aber bald wieder frei (S. 135). Das westalliierte Interesse an seinen (ohnehin kaum bekannten) Entwürfen war gering. Der Technische Geheimdienst der 9. US-Luftflotte befand im Juni 1945 eine Liste von Horten-Seglern als interessant, aber nicht für lange (S. 137). Sir Richard Fairey bot Reimar Horten eine Stelle an, aber seine Mannschaft wollte nicht mit einem Deutschen zusammenarbeiten (S. 138). Reimar machte Ende 1946 seinen Doktor (ds.) und ging 1948 nach Argentinien (S. 139). 1950 bewarb er sich erfolglos bei Northrop (S. 144).
Reimar trug zu seinen Problemen selbst bei, da er bis 1980 nichts zu seinen Entwürfen veröffentlicht hatte (S. 184), damit nicht andere die Meriten für seine Vorarbeit einstreichen sollten (S. 182). Ein Horten-Northrop-Entwurf, düsengetrieben und auf der Basis der Piernifero 3, hätte m.e. eine Entwicklungschance verdient gehabt. Es wurden sogar drei Horten-Segler 1948 von Northrop und anderen Firmen inspiziert. Das amerikanische Nurflügelprogramm wurde aber bereits im November 1948 abgebrochen (obwohl die Tests der Maschinen noch einige Jahre weitergingen), da konventionelle Maschinen ausreichende Ergebnisse zeigten (S. 145, Wikipedia zur YB-49 nennt zusätzlich eine verschwörungstheoretische Erklärung).
Grüße, Holger
1. Was hat es mit der Glockenauftriebsverteilung, auch "Mitteneffekt" genannt, die für die ungewöhnliche Stabilität der Horten-Maschinen sorgte, eigentlich auf sich?
2. Warum hat das nach dem Krieg niemand aufgenommen?
3. Insbesondere nicht die amerikanische Firma Northrop, deren Entwürfe anscheinend nicht die Qualität der der Hortens erreichten?
Zu den Horten-Flugzeugen gibt es Einiges an Literatur, aber nichts, was die o.a. Fragen wirklich beantworten könnte. Doch schließlich stieß ich auf Russel E. Lee, Only the Wing, Reimar Horten's Epic Quest to Stabilize and Control the All-Wing Aircraft, Smithsonian Institution Scholarly Press, Washington, D.C. 2011. Die Durchsicht ergab Folgendes:
Zu 1:
So gut wie von Reimar Horten behauptet waren die Stabilitätswerte seiner in Deutschland gebauten Flugzeuge nicht. Das konnte experimentell nachgewiesen werden (S. 183). Sie wurden erst von der in Argentinien konzipierten Ho X Piernifero 3 erreicht (S. 185). Diese Maschine wurde aber nie gebaut! Es braucht eine spezielle, perfekte Platzierung der Elevons [nicht explizit erwähnt, aber für mich intuitiv einsichtig ist der dihedrale Flügelwinkel laut Zeichnung]. Darauf basierende Modellflugzeuge wurden hergestellt.
Zu 2:
Mit dem Zweiten Weltkrieg beginnt der Siegeszug der Düsenflugzeuge. Deren Einlassöffnungen stören aber die Stabilitätswerte von Nurflügelflugzeugen empfindlich (S. 132). Für moderne Verkehrsflugzeuge ist das unakzeptabel. Hortens Go 229 neigte zur Taumelschwingung ("Dutch roll", S. 117). Lee stellt ihre Eignung als Abfangjäger in Frage, da ein Feuerstoß aus Dreizentimeterkanonen die Maschine erst recht aus der Bahn geworfen hätte (S. 132, fraglich, ob diese Einschätzung gerechtfertigt ist, der Me 262 wurde dasselbe zugeschrieben, was ihren praktischen Nutzen aber kaum beeinträchtigte).
Northrops düsengetriebene YB-49 brauchte vertikale Stabilisierungsflächen, bei der kolbenmotorgetriebenen XB-35 war das nicht der Fall gewesen (ds. und S. 15, als Bombardierplattform taugte die YB-49 nicht).
Zu 3:
Reimar Horten geriet am 01.04.1945 in Kriegsgefangenschaft, kam aber bald wieder frei (S. 135). Das westalliierte Interesse an seinen (ohnehin kaum bekannten) Entwürfen war gering. Der Technische Geheimdienst der 9. US-Luftflotte befand im Juni 1945 eine Liste von Horten-Seglern als interessant, aber nicht für lange (S. 137). Sir Richard Fairey bot Reimar Horten eine Stelle an, aber seine Mannschaft wollte nicht mit einem Deutschen zusammenarbeiten (S. 138). Reimar machte Ende 1946 seinen Doktor (ds.) und ging 1948 nach Argentinien (S. 139). 1950 bewarb er sich erfolglos bei Northrop (S. 144).
Reimar trug zu seinen Problemen selbst bei, da er bis 1980 nichts zu seinen Entwürfen veröffentlicht hatte (S. 184), damit nicht andere die Meriten für seine Vorarbeit einstreichen sollten (S. 182). Ein Horten-Northrop-Entwurf, düsengetrieben und auf der Basis der Piernifero 3, hätte m.e. eine Entwicklungschance verdient gehabt. Es wurden sogar drei Horten-Segler 1948 von Northrop und anderen Firmen inspiziert. Das amerikanische Nurflügelprogramm wurde aber bereits im November 1948 abgebrochen (obwohl die Tests der Maschinen noch einige Jahre weitergingen), da konventionelle Maschinen ausreichende Ergebnisse zeigten (S. 145, Wikipedia zur YB-49 nennt zusätzlich eine verschwörungstheoretische Erklärung).
Grüße, Holger