arte, 10.05.2008, 18.00 Uhr:
Über allen Horizonten Poetischer Dokumentarfilm über die Träume vom Fliegen und vom Filmemachen auf Arte
Von Cordula Dieckmann
Wie groß muss die Sehnsucht sein, dass man dafür alles hinter sich lässt – Geld, Karriere, Familie, Freunde? Lara Juliette Sanders hat diesen Schritt gewagt. Auf dem Weg zur Arbeit kehrte die Münchnerin eines Tages einfach um, fuhr zum Flughafen und landete viele Stunden später auf der kleinen Karibikinsel Dominica.
Neben Wintermantel, Tasche und Laptop brachte sie vor allem eines mit: den brennenden Wunsch, einen Film zu drehen.
Fast zehn Jahre später ist ihr Traum Wirklichkeit geworden. An diesem Samstag wird ihr Dokumentarfilm „Über allen Horizonten“ bei Arte ausgestrahlt. Ende 2008 soll er ins Kino kommen – eine poetische und anrührende Erzählung über einen alten Mann, der mitten im Dschungel an seinem Lebenstraum bastelt: einem eigenen Flugzeug. Das tut er fast ohne Geld, mit enormem Durchhaltevermögen und der Hilfe des Indianerjungen Rainstar, der ebenso wie der alte Mann die Welt von oben sehen will.
„Ich hatte einen guten, sicheren Job mit einem guten, sicheren Gehalt und einer gerade angehenden Karriere“, erinnert sich Sanders, die damals bei einer Fernsehproduktionsfirma arbeitete und unglücklich war. „Das war nicht ich, ich gehörte da nicht hin. Ich fühlte mich damals wie lebendig begraben.“ Doch erst im November 1999 fasste sie ihren spontanen Entschluss. „An dem Tag hatte ich endlich das Gefühl, ich traue mich, ich selbst zu sein.“ Als Daniel Rundstroem (77) sie in Dominica mit seiner klapprigen Citroen-Ente fast über den Haufen fuhr, empfand es die junge Frau als Schicksal. Neugierig begleitete sie ihn nach Hause und war überrascht: „Da hatte er in seiner Garage so ein Gerippe stehen mit Nägeln wie ein Metall-Igel, und er baute tatsächlich ein Flugzeug, mitten im Dschungel, ohne Geld.“ Als er ihr sein Leben erzählte, wusste sie: „Das ist der Film, den ich drehen möchte, mein großer Traum wird wahr.“ In der Tat besitzt Rundstroems Leben eine Dramaturgie, wie sie sich ein Filmemacher kaum schöner ausdenken könnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Schwede Pilot des äthiopischen Kaisers Haile Selassie. Er jagt Krokodile, bereist Indien und Afrika, lernt eine Haremsdame kennen und verliebt sich in eine Millionärstochter. Als er eines Tages nach Jemen fliegt, um ein Geschenk von König Ahmed für Selassie abzuholen, wirbt ihn der jemenitische Herrscher ab.
Irgendwann kehrt Rundstroem nach Europa zurück, heiratet, bekommt einen Sohn und lässt sich scheiden. Nach weiteren Jahren als Weltenbummler beschließt er 1992, in der Karibik zu bleiben. Doch der Traum vom Fliegen lässt ihn nicht los. „Über den Wolken ist der Ort, wo ich Frieden mit mir selbst finde, und dort fühle ich mich frei wie ein Vogel und ich kann alle meine Probleme vergessen“, sagt er im Film. „Fliegen ist die unglaublichste, wunderbarste Sache auf der ganzen Welt!“ Die Stärke des Films, der mit alten Aufnahmen aus Äthiopien und Jemen angereichert ist, liegt in der Spannung und den Emotionen. Es gibt viele Rückschläge, das Geld reicht vorn und hinten nicht. Seinen Sohn hat Rundstroem mehr als zehn Jahre lang nicht gesehen – eine schwierige Beziehung. Ein bisschen kann der 16-jährige Rainstar den Platz einnehmen, doch die Sehnsucht nach dem in Berlin lebenden Sohn wird übermächtig. Eines Tages bricht Rundstroem zusammen, aber er steht wieder auf, angespornt von seinem ungeheuren Willen.
Das ist auch die Botschaft, die Sanders mit ihrem über Jahre selbst finanzierten Werk vermitteln will, das sie erst nach acht Jahren an einen Sender verkaufen konnte: „Wenn die Menschen den Film sehen, sollen sie fühlen: Lebt eure Träume, nur so findet ihr euch selbst.“ Sie hat es geschafft. Ihre Erfahrungen bis zum Beginn der Dreharbeiten hat sie in einem Buch niedergeschrieben und damit auch das Interesse von Verlagen geweckt. dpa