Moin!
Und es zeugt davon, dass du die Basis für deine Meinung völlig willkürlich auswählst: Wenn ein renommierter Wirtschaftsprofessor [1] die deutsche Energiepolitik als grossen Fehler bezeichnet, woher nimmst du für dich dann die Überzeugung, dass der falsch und du richtig liegst?
[1] Interview mit Hans-Werner Sinner als Beispiel:
«Deutschland richtet seine eigene Industrie zugrunde», urteilt der Ökonom Hans-Werner Sinn
Du hast natürlich recht, daß man bei Themen mit großen Auswirkungen bei seinen Entscheidungen auch immer das Risiko einbeziehen muß, daß es anders kommt, als man denkt.
Die Annahmen und die innere Logik von Expertenaussagen zu überprüfen ist meiner Meinung nach ein guter Weg, um zu einem persönlichen Eindruck zu kommen, in wie weit man bestimmten Experten folgen will.
Das verlinkte Interview mit Sinn macht das nicht sehr deutlich, aber im Prinzip kontrastiert er dort Szenario A, "Vermeidung von CO2-Ausstoß durch Einsatz nicht-fossiler Technologie" mit Szenario B, "Energieerzeugung mit fossiler Energie und CO2-Abscheidung und -Verpressung auf dem Meeresgrund". (Kernenergie und Verbrennungsmotoren außen vorgelassen, denn die könnte man man beiden Szenarien entweder zusätzlich nutzen oder eben auch nicht.)
Sinns Schlußfolgerung ist, daß Szenario A massiv viel teurer ist als Szenario B. Soweit ich informiert bin, ist die von ihm vorausgesetzte Technologie für das Szenario B aber noch nicht vollständig entwickelt und die Langzeitsicherung der CO2-Speicher (möglicherweise auf Jahrhunderte) mit noch ungeklärten Folgekosten verbunden. Sie steht auch nicht, anders als die Stromerzeugungsmethoden in Szenario A, flächendeckend zur Verfügung, und um bei beiden Szenarien auf eine vergleichbare CO2-Bilanz zu kommen, müßte man Szenario B folglich um das Abscheiden und Verpressen von CO2 aus der Atmosphäre um mehr als die Höhe der Differenzmenge ergänzen. (Mehr deswegen, weil atmosphärischen CO2 zwischen Ausstoß und Abscheidung treibhauswirksam ist, was durch eine Mehr-Abscheidung in der Zukunft kompensiert werden muß.)
Kern der Sache ist aber nicht, daß Sinns Szenario B wahrscheinlich "auch" sehr teuer ist, sondern daß Sinn seine Schlußfolgerung auf die Anwendung noch nicht verfügbarer Technologien aufbaut, die nicht durchentwickelt sind und große Unsicherheiten bezüglich der zu erwartenden Kosten aufweisen.
Technologie ist aber nicht das Feld, auf dem Sinn Experte ist - da ist er als Wirtschaftswissenschaftler selbst auf den Input der fachlichen Experten angewiesen, wenn er das mal ernsthaft durchrechnen will.
Aufgrund von unsicheren Informationen zu einer dramatischen Schlußfolgerung zu kommen und diese als absolut gesichert darzustellen, ohne die Unwägbarkeiten zu thematisieren, halte ich für ausgesprochen problematisch. Nebenbei: Ich wundere mich auch, daß die NZZ das nicht hinterfragt hat, was ich für journalistisch erforderlich gehalten hätte. Im Prinzp hätten die NZZ ziemlich genau die Frage stellen müssen, die Du auch gestellt hast: "Woher nehmen Sie angesichts der vielen Unwägbarkeiten die Überzeugung, daß Sie da richtig liegen?"
Nur so als Beispiel ... ich würde auch gar nicht dieses eine Interview zu Tode diskutieren wollen, es geht mehr um die Methodik, die sich auf Aussagen von Persönlichkeiten aus jedem Teil des politischen Spektrums anwenden läßt. Was sind die Annahmen, wie ist die Logik, in wie weit halte ich als Leser die Schlußfolgerung für nachvollziehbar ...
Tschüs!
Henning (HoHun)